«Ein Ausflug in die Bilderwelt» Ralph Hug, Ostschweizer AZ, 16-1-1987
Ronald Reagan, Michail Gorbatschow und nicht zuletzt Kurt Furgler sind die Hauptdarsteller
in Peter Liechtis neuem Film «Théâtre de l'esperance»,
der heute abend in der St.Galler Grabenhalle zu sehen ist. Liechti ging mit der
Super8Kamera nach Genf zum Gipfeltreffen 1985, um Bilder dieses «Theaters
der Hoffnung» einzufangen. Was er subjektiv filmte, konfrontierte er später
mit den objektiven Bildern, die den TVZuschauern in aller Welt vom selben Anlass
in die Stube geliefert wurden. Daraus entstand keine Politsatire, sondern eine
filmischkünstlerische Neuinszenierung mit Bildern. die von Liechti so lange
bearbeitet wurden, bis sie gefügig wurden.
Wie nahe kommt man überhaupt an die Sache heran? Von welcher Erlebnisqualität
sind die Bilder? Welchen Erfahrungsschatz bergen sie und wie kann dieser hervorgeholt,
sichtbar gemacht werden? Das waren Fragen, mit denen Liechti, von der Faszination
des Grossunternehmens «Gipfeltreffen» angezogen, nach Genf fuhr. Er
und sein Begleiter, der Künstler Roman Signer, suchten mit der Kamera nach
einer Wirklichkeit, die dem Normalbürger sonst nur künstlich per Bildschirm
zugänglich ist. Tatsächlich waren sie überrascht: Statt in die
Hände von Sicherheitsbeamten und «Gorillas» zu geraten, gelang
es ihnen, unerwartet nahe an die Ereignisse zu stossen:
Im Vorortszug nach Versoix machten sie den Punkt ausfindig, an dem der amerikanische
Konvoi trotz täglich wechselnder Routen immer vorbeifahren musste. Dort filmten
sie schemenhafte, gepanzerte Limousinen, die mit Vollgas die Repräsentanten
der Macht an den Konferenzort transportierten, und erhielten so erste Bilder von
symbolhafter Prägnanz.
Schliesslich stiessen sie gar ins Hotel vor, wo die Delegationen unter scharfer
Bewachung konferierten, dies mit Hilfe einer Verwechslung: Der Gastwirt, bei dem
sie ein Taxi bestellt hatten, hielt sie für Gäste des Hotels und bestellte
prompt das luxuriöse Hoteltaxi, in welches Liechti und Signer nach einigem
Zögern kurzerhand einstiegen...
«Es war zum Teil wie Science Fiction», berichtet Liechti über
seine Genfer Erlebnisse, die ihm viel authentisches Bildmaterial lieferten, das
es nach radikalsubjektiven Kriterien auszulesen galt. Der besondere Reiz lag nun
in der Konfrontation mit den privilegierten TV-Bildern, die Liechti allerdings
nicht einfach unbesehen übernehmen mochte: Die abgedroschenen Bilder eines
auch abgedroschenen Themas (Abrüstung) mussten neu ans Licht gezerrt, es
musste ihnen ein neuer Realitätsgehalt gegeben werden, damit sie wieder zu
sprechen anfingen. Dies besorgte Liechti in langwieriger Schneid und Studioarbeit,
wobei das Super-8 und Videomaterial auf 16 mm verarbeitet und zu einem Werk zusammengefügt
wurde. Die Rahmenhandlung lieferte Liechti eine Aktion von Roman Signer, der auf
der Hundwiler Brücke einen Koffer übers Geländer sausen lässt,
aus dem Tausende von Makulaturblättern in die Tiefe regnen.
Auch als inhaltlicher Kommentar zum Genfer Gipfel ist diese Aktion gedacht, aus
der leicht eine Vielzahl symbolischer Bezüge herausgelesen werden können,
von der Papierflut bis zur Tatsache, dass der Koffer letztlich in einem Strudel
verschwindet…
«Medienwirklichkeit befragt» Corinne Schatz, St.Galler Tagblatt, 16-1-87
Eigene Bilder entgegengesetzt
Eine ganz andere Seite in Peter Liechtis Schaffen zeigt sich im Film «Théatre
de l'espérance» («Theater der Hoffnung»). Anlass dazu
gab das Gipfeltreffen zwischen Reagan und Gorbatschow in Genf, das politische
Grossereignis des letzten Jahres. Das Material zum Film bezog Liechti einerseits
aus den Aufzeichnungen der Fernsehsendungen (rund neun Stunden), andererseits
aus den Aufnahmen, die er selbst bei einem Tagesausflug nach Genf machte.
Ihn interessierte damals, wie nahe man als «Amateur», ohne Presseausweis
mit einer einfachen Super-8-Kamera an das resolut abgeschirmte Geschehen herankommen
könne. Durch Zufall gelangte er an eine Stelle, wo der Konvoi mit den Politikern
mehrmals vorbeifuhr.
Liechti konfrontiert die Authentizität des eigenen Erlebnisses mit den Bildern
der Medien, die mit grossem technischen Aufwand produziert wurden. Durch seine
radikal subjektive Auswahl und die Bearbeitung dieses Fremdmaterials versuchte
Liechti die Bilder, die er als reine «Verbrauchsbilder» ohne Informationspotential
sieht, in einen ganz persönlich geprägten Film einzubeziehen und ihnen
dadurch neuen Gehalt zu verleihen.
Ein pessimistischer Kommentar
Auf einer dritten Ebene, die sich filmisch stark von den übrigen unterscheidet,
blendet Liechti Bilder einer Aktion vom Roman Signer ein: ein Koffer wird von
einer Brücke hinuntergeworfen. Immer an der gleichen Stelle bleibt der Film
stehen, der Koffer «hängt» in der Luft. Durch die Wiederholung
wird der Film in fünf Sequenzen geteilt, erst beim letztenmal fällt
der Koffer ganz in die Tiefe und verschwindet in einem Wasserstrudel.
Ein radikal pessimistischer Kommentar Liechtis kommt hier zum Ausdruck. Das Gipfeltreffen
in Genf wird als reines Schauspiel entlarvt, der Brückenschlag als misslungen
dargestellt. Die Hoffnungen, die in das Treffen gesetzt wurden, sind im Strudel
der Ereignisse untergegangen. Das Treffen blieb in der Sicht Peter Liechtis hohles
Medienspektakel, das sich im Grunde gar nicht so sehr von den pompösen, nach
strengen Repräsentationsregeln abgehaltenen Staatsempfängen früherer
Jahrhunderte unterschied.
Heimo Ranzenbacher, kleine Zeitung von Graz, 3-6-87
Die anschliessend gezeigten Filme von Peter Liechti - «Ausflug ins Gebirg»,
«Tauwetter» und «Théatre de l'espérance»
- werden das Letzte hoffentlich nicht sein, was die Schweiz an Vorbildlichem in
Graz präsentiert. Liechtis «Théater der Hoffnung», eine
aus TV-Aufnahmen von Auftritten und Treffen führender Politiker montierte
Ost-West-Apokalypse gab ein impressives Bild von der Schmiere als mediales Welttheater.
Walter Ruggle, Züri-Tip, 3-4-87
(…) Dafür hat, wer hätte von ihm etwas anderes erwartet, Peter
Liechti mit seinem «Théâtre de l'espérance» gewisse
Eindrücke einer näheren Betrachtung unterworfen, und zwar jene, die
das Genfer Gipfeltreffen zwischen Reagan und Gorbatschow bei ihm hinterlassen
haben. Es ist ganz amüsant und aufschlussreich, wenn Gesten, Bewegungen,
Verhaltensweisen der Haupt und einiger Nebendarsteller unter die Lupe genommen
werden. Liechti zeigt unter anderem Fernsehbilder, die in ihrer Flüchtigkeit
die Details viel zu rasch übergehen.