PETER LIECHTI (1951-2014)
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Tönende Rillen

Über den Schweizer Filmemacher Peter Liechti
Von Josef Lederle

Peter Liechti ist ein Solist unter den Dokumentarfilmern, ein philosophierender Grenzgänger zwischen Kunst und Kino, Ich-Erzählung und Essay. Bekannt wurde er mit »Signers Koffer« (1996), in dem er den Aktionskünstlers Roman Signer in einer Art Road Movie durch Europa begleitete und dessen irrwitzige Experimente fotografierte. Für die scheinbar sinnfreien Inszenierungen Signers, der rote Stoffbänder über den Stromboli schießt oder seine Schlafgeräusche mittels großer Lautsprecher in die Landschaft Islands überträgt, entwickelte Liechti eine Filmsprache, die zum Gesprächspartner des melancholischen Einzelgängers wird. Signers ironisch funkelndes Spiel mit den Kontrasten zwischen Landschaft, Natur und Zivilisation gewinnt durch die Kamera nicht nur Dauer, sondern stößt in neue (Verständnis-)Dimensionen vor: Eine verschneite Bergstraße lässt sich so als »Landschaftsrille« verstehen, die der Autoverkehr zum »Tönen« bringt. Im herzerfrischenden Dadaismus dieser hintergründigen Exkursionen ist Liechtis Lust am Offenen, Improvisierten mit Händen zu greifen, sein Faible für Versuchsanordnungen mit nicht vorhersehbarem Ausgang. Das bietet Raum für Alltägliches und scheinbar Nebensächliches (»Ich bin ein Abschweifer«), lässt aber auch ungewöhnliche, bisweilen absurde Perspektiven zu.

Der Spruch vom »Ostschweizer Achternbusch«, der im Anschluss an den Kurzfilm »Ausflug ins Gebirg« (1986) die Runde machte, verwechselte allerdings die sprachspielerischen Agitationen dieser frühen Skizze mit Narzissmus. Davon war nach dem polemischen »Théâtre de l’espérance« (1987) über ein Treffen von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow sowie dem reflexiven »Grimsel« (1990), einer Auseinandersetzung mit dem politisch engagierten Kino, nicht mehr die Rede. Stattdessen experimentierte Liechti in »Kick That Habit« (1989) mit den Klangwelten der Elektro-Musiker Norbert Möslang und Andy Guhl, wobei er in wundersamen Bild- und Soundmontagen die Ostschweiz durchmisst, die dann in »Hans im Glück« (2003) wiederkehrt – als sperriges Gegenüber beim Selbstversuch, »das Rauchen loszuwerden«. Dreimal wandert Liechti von Zürich nach St. Gallen, um sich vom Nikotin zu entwöhnen. In spielerischer Beiläufigkeit entwirft »Hans im Glück« ein komplexes Mosaik aus Stimmungen, Gedanken und körperlichen Bewegungen, wobei Liechtis lakonische Prosa zwischen Ernsthaftigkeit und (Selbst-)Ironie auf Grundsätzliches, Exemplarisches zielt: »,Entzug‘ kann so vieles bedeuten: das Verschwinden geliebter Orte, das Vergessen(-werden), der Verlust von Heimat, alten Sicherheiten und Überzeugungen, von Sinn überhaupt...«

Das Fragen nach der Herkunft (Elternhaus, Region, Heimat) und den Wurzeln all dessen, was den Ich-Erzähler Liechti ausmacht, haben nicht nur das gute Leben, sondern auch das Ende im Blick: den Tod, dem Liechti mit »Das Summen der Insekten« (2008) eine irritierende Meditation widmet. In der »filmischen Inszenierung eines literarischen Texts« verwandelt sich die Leinwand in eine hypnotisch-existenzielle Matrix des Sterbens. Aus dem Off hört man die Notizen eines 40-jährigen Mannes, der sich in ein Hochmoor zurückgezogen hat, um sich zu Tode zu Hunger: ein nüchterner, gleichwohl erschütternder Bericht bar aller Larmoyanz, den Liechti szenisch-bildhaft in einen Strom assoziativer Natur- und Erinnerungsfragmente einbettet. Was für den Sterbenden zur radikalen Begegnung mit sich selbst als Kreatur wird, verwandelt sich als kontemplative Erkundung einer letzten Grenze zur stillen Reflexion über den Willen zum Dasein.

Liechtis nächstes Projekt heißt »Vaters Garten« und soll der »Versuch einer persönlichen Geschichtsrevision« werden: das Bild seiner Eltern, dessen Konturen aus dem jugendlichen Erleben stammen, einer ehrlichen Prüfung zu unterziehen. Liechti strebt eine filmische Verdichtung über das »Lebensgefühl einer Epoche« an, die in kürzester Zeit so viele Paradigmenwechsel durchlaufen hat, dass die Generation der 80-Jährigen vom »heutigen Alltag gleichsam abgekoppelt« ist: »Ein Riss, der mitten durch unsere Seelen geht«.

(Film-Dienst, April 2010)

 

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 Books, Editions 
»Peter Liechti – DEDICATIONS« (Scheidegger&Spiess Zürich, 2016)
Peter Liechti: »Klartext. Fragen an meine Eltern« (Vexer Verlag St.Gallen, 2013) *)
Peter Liechti: »Lauftext - ab 1985« (Vexer Verlag St.Gallen, 2010) *)
Peter Liechti: Waldschrat. Sechsteilige Fotoserie (Vexer Verlag St.Gallen, 2011)

 By Peter Liechti 
Carte Blanche Peter Liechti (Jahresbericht ARF/FDS 2011; deutsch)
Carte Blanche Peter Liechti (Rapport annuel ARF/FDS 2011; français)
«Viel zu wenige Künstler stürzen ab» (Peter Liechti im Gespräch mit Marcel Elsener)
»Kinodokumentarfilm – Fernsehdokumentarfilm« – Text zur Rencontre ARF/FDS 2006 von Peter Liechti
«Le documentaire de cinéma – le documentarie de télévision» – Texte pour la Rencontre ARF/FDS 2006 de Peter Liechti
Es boomt um den Schweizer Film, von Peter Liechti, Neue Zürcher Zeitung, 30.Juni 2000
Dunkle Stirnen, helle Geister, von Peter Liechti, Tages Anzeiger, September 1997

 About Peter Liechti 
Von Menschen und Hasen (Alexander Weil in www.literaturkritik.de)
Im weitesten Winkel (Bert Rebhandl in FRIEZE)
The Wanderer (Bert Rebhandl in FRIEZE)
Die Kunst des Abschieds (Christoph Egger, Ansprache Gedenkfeier St.Gallen
Konfrontationen mit dem innern Dämon (Christoph Egger, Nachruf in der NZZ)
Der Einzel-, Doppel- und Dreifachgänger (Christoph Egger, Filmbulletin 1/2014)
Im Luftschiff mit Peter Liechti (Tania Stöcklin, Katalog Solothurner Filmtage 2014)
En dirigeable avec Peter Liechti (Tania Stöcklin, Catalogue Journées de Soleure 2014)
Open-Ended Experiments (Matthias Heeder, Katalog DOK Leipzig 2013)
Offene Versuchsanordnung (Matthias Heeder, Katalog DOK Leipzig 2013)
Peter Liechti, Sismographe (Bernard Tappolet, Le Courrier, 3 septembre 2011)
Laudatio auf Peter Liechti (Fredi M. Murer, Kunstpreis der Stadt Zürich)
Landschaften, befragt, mit Einzel-Gänger (Christoph Egger, Laudatio Kulturpreis St.Gallen)
Kino zum Blättern? Jein! (Florian Keller)
Das grosse alte Nichts heraushören – und es geniessen (Adrian Riklin)
«Sans la musique, la vieserait une erreur» – Collages et ruptures pour Peter Liechti (Nicole Brenez)
Tönende Rillen (Josef Lederle)
The Visual Music of Swiss Director Peter Liechti (Peter Margasak)
A Cinematic Poetics of Resistance (Piero Pala)
Aus dem Moment heraus abheben – Peter Liechtis Filme (Bettina Spoerri, NZZ, 19.8.2008)
Sights and Sounds – Peter Liechti's Filmic Journeys, by Constantin Wulff
Letter from Jsaac Mathes
Passage durch die Kinoreisen des Peter Liechti (Constantin Wulff)
Gespräch mit Peter Liechti (Constantin Wulff)
Tracking Peter Liechti's cinematic journeys (Constantin Wulff)
Interview with Peter Liechti (Constantin Wulff)
Interview zu »Namibia Crossings«, in: Basler Zeitung, 23.9.2004
Dokumentarische Haltung. Zu »Hans im Glück«, in: NZZ, 2004
Jäger, Forscher oder Bauer, Interview von Irene Genhart mit Peter Liechti, Stehplatz, April 1996
Excursions dans le paysage, de Michel Favre, Drôle de vie, numéro 8, Dezember 1990
Duckmäuse im Ödland, von Marianne Fehr, WoZ Nr.21, 23.Mai 1990

  Diverses 
Gedenkanlass im Filmpodium Zürich -- in Vorbereitung

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*)
 Inhalt Peter Liechti: «Lauftext – ab 1985» 

Sprechtext zum Film AUSFLUG INS GEBIRG, 1985
Zwei Versuche aus dem Jahr 1987
«Unrast», Arbeitstexte zu MARTHAS GARTEN, 1988 ‑ 1989
Reisenotizen aus den USA, 1990
Logbuch 1995 ‑ 1997
Logbuch 1998 ‑ 1999
Reisenotizen aus dem Südsudan, 1999
Recherchen Namibia, Rohtexte zu NAMIBIA CROSSINGS, 1999
Erstes ungekürztes Marschtagebuch zu HANS IM GLÜCK, 1999
Logbuch 2000 ‑ 2001
Zweites ungekürztes Marschtagebuch zu HANS IM GLÜCK, 2000
Drittes ungekürztes Marschtagebuch zu HANS IM GLÜCK, 2001
Logbuch 2002
Logbuch 2003
Logbuch 2004
Logbuch 2005
Logbuch 2006
Logbuch 2007
Logbuch 2008
Logbuch 2009
Logbuch 2010 (bis Mai)


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