Ein Erfahrungsbericht samt anschliessenden Überlegungen
Endlich die Antwort vom Bund (wichtigste Säule zur Subventionierung
des einheimischen Schaffens) auf unser Gesuch - zweiteilig. Erstens: «Wir
freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass die Expertenkommission
positiv entschieden hat ...» Zweitens: «Leider müssen
wir Ihnen mitteilen, dass die Kasse leer ist ...» (im Frühjahr
2000). Aha. In diesem Jahr stünden dem Bund nur zwei Drittel des sonstigen,
eh schon viel zu knappen Filmkredits zur Verfügung. Aha. Versuchen
wir's halt weiter; dem Fernsehen (zweitwichtigste Säule), so hört
man, würden dafür mehr Mittel als früher für Koproduktionen
zur Verfügung stehen. Gut, dass wir grad einen zuständigen Redaktor
treffen. Der winkt aber ab, bevor wir richtig zu Wort kommen: «Kein
Geld mehr in diesem Jahr (es ist nach wie vor Frühjahr 2000) ...
Was uns allein die Mitfinanzierung dieses Pitchings [moderierte Projektpräsentation
vor einem ‹Gremium›, eine neue Dienstleistung für Film-
und Fernsehproduzenten] wieder gekostet hat ...» Wir lassen ihm
trotzdem unser Gesuch zukommen; im Grunde ist er ein netter Mensch, vielleicht
wird er ja doch irgendeinen Weg finden.
Und da gibt's ja noch die Migros mit ihrem Kulturprozent; wir lassen uns
die Unterlagen kommen. Was?! Auch da nur noch ein gutes Drittel des bisherigen
Filmbudgets! Jetzt braucht's aber langsam Glück - und zum Glück
gehören seit je die guten alten Kulturstiftungen. Der Reihe nach werden
nun alle diese Stiftungen telefonisch abgeklappert: Von den grössten
und wichtigsten, die unsere bisherigen Projekte mit namhaften Beiträgen
unterstützt hatten, haben etwa die Hälfte die Filmförderung
gestrichen oder «sistiert». Grund: «Ihr habt ja den Bund,
das Fernsehen, die Migros ...» Sie selber würden zunehmend
mit Gesuchen überschwemmt und sähen sich ausserstande, bei den
stets steigenden Filmbudgets noch wirksame Beiträge zu sprechen. Also
lieber gar nichts mehr. Und als uns dann noch das Gerücht zu Ohren
kommt, dass selbst grosse Kantone wie Genf oder Bern daran gehen, den Filmkredit
zu streichen, und dass zurzeit auch die Abschaffung der eidgenössischen
Qualitätsprämien (oftmals der einzig nahrhafte «Überbrückungs-Zuschuss»
für Autoren und Produzenten, um die Kontinuität ihres Schaffens
zu sichern) diskutiert werde, stellen sich uns wirklich ernste Fragen.
P.S.: Mittlerweile haben wir erfahren, dass der Bund nun doch noch etwas
Geld für uns gefunden hat - wenn auch erst im nächsten Jahr. Ich
sag's ja: Ich bin ein Glückspilz ...
Operation gelungen - Patient gestorben?
Kürzlich hat der «Verband Drehbuch und Regie Schweiz» an
seine Mitglieder eine zwölfseitige Liste versandt über sämtliche
Ämter, Kommissionen, Verbände, TV- und andere Redaktionen, soziale
Institutionen, Schulen, Weiterbildungsstiftungen, Festivals ..., die
sich in diesem Lande mit der Förderung des Schweizer Films befassen
- 68 an der Zahl! Ich war beeindruckt - gerade weil mir bewusst war, dass
damit nur ein Teil der ganzen «Kulturmannschaft» gemeint sein
konnte. Bei so viel Hege und Pflege sollte man sich wohl geborgen fühlen.
Unzählige Beamte, Funktionäre und Delegierte mit ihren Heerscharen
von Hilfskräften sind darum besorgt, dass ihr Schützling «Schweizer
Film» wächst und gedeiht. Da herrscht ein solcher Boom, dass
gar immer neue Berufe und Ämter daraus herauswachsen: Kulturmanager,
Script-Doktoren, Auswertungsdesigner, Sponsoring-Koordinatoren ...
Bei so viel Betriebsamkeit entsteht nun schnell einmal die Gefahr, dass
das eigentliche Objekt des ganzen Fürsorge-Enthusiasmus etwas aus dem
Blickfeld gerät - oder ist es vielleicht so, dass man dieses Objekt
deshalb so leicht aus den Augen verliert, weil es, gewissermassen im Gegenzug,
immer kleiner wird, ja geradezu verschwindet im Schatten dieses gigantischen
Hilfeprogramms? Schliesslich gedeihen die beiden, der Film und seine Förderer/Verwalter,
auf demselben Boden, und dieser findet sich - national-allegorisch gesagt
- eher in den kargen Bergregionen als auf den fetten Weiden des Mittellandes.
Möglicherweise ist es nun so, dass das ganze Helferpersonal dem «Patienten»
- als solcher wird das hiesige Filmschaffen offenbar gesehen - einen gewichtigen
Teil dessen entzieht, was dieser für seine Genesung am dringendsten
benötigt: die finanziellen Mittel. Denn Film kostet - auch der Schweizer
Film. Und deshalb müsste das ganze Supportsystem vor allem dann greifen,
wenn es an die Finanzierung/Realisierung eines neuen Projekts geht.
Was ich heraushöre aus dem gegenwärtigen Gemunkel und Gestöhne:
Alle die Bemühungen der letzten Jahre um den Patienten «Schweizer
Filmschaffen» haben offenbar gefruchtet; er scheint zu gesunden, immer
mehr und immer besser ausgebildete Leute (es gibt vier gute Filmschulen
in der Schweiz) drängen zum Film und wollen arbeiten. Es boomt also
auch auf der anderen Seite, doch keiner scheint sich darüber zu freuen.
Im Gegenteil: Als würden die Geister, die man gerufen hat, langsam
lästig werden, scheinen sich die Anstrengungen des «grossen Apparats»
darauf verlagert zu haben, diese wieder loszuwerden. Das ist bekanntlich
schwierig, und so wuchern denn die Gesuche dieser «Geister»
(virtuelle Schweizer Filmer) bis in die Chefetagen der Kulturbürokratie:
Auf professioneller Software professionell unterbreitet (so hat man's ihnen
beigebracht), erfahren diese Gesuche nicht weniger professionelle und routinierte
Absagen - der Betrieb läuft auf Hochtouren, ohne dass dabei gross Filme
produziert werden müssten.
Das Image und die Politiker
Das heisst nun nicht, dass auf Seiten unserer Förderer und Pfleger
keine neuen Wege gesucht würden. «Erfolgsabhängige Förderung»
lautet z. B. ein Rezept, das uns verschrieben wurde. So führen
sie uns auf den Weg globaler Aufgeschlossenheit (mehr wirtschaftliche statt
künstlerische Kriterien), befreien uns von der schmählichen Bittstellerrolle
und entschärfen die Fronten zwischen sich und uns: Nicht von ihnen
sind wir also abhängig, sondern von unserem eigenen Erfolg. Dass sie
sich selber ausnehmen von solchen Erfolgskontrollen, scheint selbstverständlich:
Ihr Betrieb floriert, das muss nicht erst bewiesen werden. - Doch aufgepasst,
man hat uns gewarnt: Die öffentliche Austragung interner Unzufriedenheiten
sei in jedem Fall zu unterlassen, weil sie im Hinblick auf eine Verbesserung
unseres Images gegenüber einem uns grundsätzlich feindlich oder
zumindest skeptisch gesinnten Parlament nur kontraproduktiv wirken würde
- ein Schuss in den eigenen Rücken gewissermassen. In der Tat ist mir
unverständlich, wie gering unsere Politiker die Wichtigkeit eines lebendigen
Filmschaffens als Ausdruck schweizerischer Identität schätzen
in diesem medienbestimmten Zeitalter. Natürlich ist mir bekannt, dass
gerade in den innersten Bezirken unseres «Betriebs» seit Jahren
die grössten Anstrengungen unternommen werden, Volk und Parlament davon
zu überzeugen, dass eine entscheidende Aufstockung des Filmkredits
(Stichwort «Quantensprung») allererste Voraussetzung ist für
eine ernst zu nehmende «Filmszene Schweiz». Ich weiss, dass
diese Arbeit nicht nur viel Geld, sondern auch Nerven und Durchhaltevermögen
kostet und dass viele unserer Kulturbeamten dieses wichtigste aller Ziele
mit grossem Engagement verfolgen; selbstverständlich gebührt ihnen
für diesen nach aussen wenig spektakulären und oft undankbaren
Einsatz die nötige Anerkennung.
Doch ich halte es nicht für produktiver, aus lauter Angst vor denjenigen,
die uns sowieso missverstehen wollen, unserem Ärger nicht Ausdruck
zu verleihen über einen Trend in den «eigenen Reihen»,
der uns auch noch bei der grossen Zahl von Wohlgesinnten die Glaubwürdigkeit
verlieren lässt. Nicht durch aufgebläht «professionelles»
Gebaren sollten wir uns profilieren (mit dem Effekt, dass diese «Professionalität»
uns Filmschaffenden die Arbeit mehr erschwert als erleichtert), sondern
durch die Konzentration auf den überzeugten und überzeugenden
Kampf für das, was ein produktives und kreatives Schaffen in diesem
Land erst möglich macht: den real noch nicht existierenden Quantensprung.
Index Texts
Books, Editions
»Peter Liechti – DEDICATIONS« (Scheidegger&Spiess Zürich, 2016)
Peter Liechti: »Klartext. Fragen an meine Eltern« (Vexer Verlag St.Gallen, 2013) *)
Peter Liechti: »Lauftext - ab 1985« (Vexer Verlag St.Gallen, 2010) *)
Peter Liechti: Waldschrat. Sechsteilige Fotoserie (Vexer Verlag St.Gallen, 2011)
By Peter Liechti
Carte Blanche Peter Liechti (Jahresbericht ARF/FDS 2011; deutsch)
Carte Blanche Peter Liechti (Rapport annuel ARF/FDS 2011; français)
«Viel zu wenige Künstler stürzen ab» (Peter Liechti im Gespräch mit Marcel Elsener)
»Kinodokumentarfilm – Fernsehdokumentarfilm« – Text zur Rencontre ARF/FDS 2006 von Peter Liechti
«Le documentaire de cinéma – le documentarie de télévision» – Texte pour la Rencontre ARF/FDS 2006 de Peter Liechti
Es boomt um den Schweizer Film, von Peter Liechti, Neue Zürcher Zeitung, 30.Juni 2000
Dunkle Stirnen, helle Geister, von Peter Liechti, Tages Anzeiger, September 1997
About Peter Liechti
Von Menschen und Hasen (Alexander Weil in www.literaturkritik.de)
Im weitesten Winkel (Bert Rebhandl in FRIEZE)
The Wanderer (Bert Rebhandl in FRIEZE)
Die Kunst des Abschieds (Christoph Egger, Ansprache Gedenkfeier St.Gallen
Konfrontationen mit dem innern Dämon (Christoph Egger, Nachruf in der NZZ)
Der Einzel-, Doppel- und Dreifachgänger (Christoph Egger, Filmbulletin 1/2014)
Im Luftschiff mit Peter Liechti (Tania Stöcklin, Katalog Solothurner Filmtage 2014)
En dirigeable avec Peter Liechti (Tania Stöcklin, Catalogue Journées de Soleure 2014)
Open-Ended Experiments (Matthias Heeder, Katalog DOK Leipzig 2013)
Offene Versuchsanordnung (Matthias Heeder, Katalog DOK Leipzig 2013)
Peter Liechti, Sismographe (Bernard Tappolet, Le Courrier, 3 septembre 2011)
Laudatio auf Peter Liechti (Fredi M. Murer, Kunstpreis der Stadt Zürich)
Landschaften, befragt, mit Einzel-Gänger (Christoph Egger, Laudatio Kulturpreis St.Gallen)
Kino zum Blättern? Jein! (Florian Keller)
Das grosse alte Nichts heraushören – und es geniessen (Adrian Riklin)
«Sans la musique, la vieserait une erreur» – Collages et ruptures pour Peter Liechti (Nicole Brenez)
Tönende Rillen (Josef Lederle)
The Visual Music of Swiss Director Peter Liechti (Peter Margasak)
A Cinematic Poetics of Resistance (Piero Pala)
Aus dem Moment heraus abheben – Peter Liechtis Filme (Bettina Spoerri, NZZ, 19.8.2008)
Sights and Sounds – Peter Liechti's Filmic Journeys, by Constantin Wulff
Letter from Jsaac Mathes
Passage durch die Kinoreisen des Peter Liechti (Constantin Wulff)
Gespräch mit Peter Liechti (Constantin Wulff)
Tracking Peter Liechti's cinematic journeys (Constantin Wulff)
Interview with Peter Liechti (Constantin Wulff)
Interview zu »Namibia Crossings«, in: Basler Zeitung, 23.9.2004
Dokumentarische Haltung. Zu »Hans im Glück«, in: NZZ, 2004
Jäger, Forscher oder Bauer, Interview von Irene Genhart mit Peter Liechti, Stehplatz, April 1996
Excursions dans le paysage, de Michel Favre, Drôle de vie, numéro 8, Dezember 1990
Duckmäuse im Ödland, von Marianne Fehr, WoZ Nr.21, 23.Mai 1990
Diverses
Gedenkanlass im Filmpodium Zürich -- in Vorbereitung
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*)
Inhalt Peter Liechti: «Lauftext – ab 1985»
Sprechtext zum Film AUSFLUG INS GEBIRG, 1985
Zwei Versuche aus dem Jahr 1987
«Unrast», Arbeitstexte zu MARTHAS GARTEN, 1988 ‑ 1989
Reisenotizen aus den USA, 1990
Logbuch 1995 ‑ 1997
Logbuch 1998 ‑ 1999
Reisenotizen aus dem Südsudan, 1999
Recherchen Namibia, Rohtexte zu NAMIBIA CROSSINGS, 1999
Erstes ungekürztes Marschtagebuch zu HANS IM GLÜCK, 1999
Logbuch 2000 ‑ 2001
Zweites ungekürztes Marschtagebuch zu HANS IM GLÜCK, 2000
Drittes ungekürztes Marschtagebuch zu HANS IM GLÜCK, 2001
Logbuch 2002
Logbuch 2003
Logbuch 2004
Logbuch 2005
Logbuch 2006
Logbuch 2007
Logbuch 2008
Logbuch 2009
Logbuch 2010 (bis Mai)