«Die Magie der Landschaft» Ralph Hug, Ostschweizer AZ, 15-2-85
Seinem Film «Sommerhügel» hat Peter Liechti auch einen Untertitel
gegeben, nämlich «Eine Inszenierung der appenzellischen Landschaft
in zehn Akten». Hier wird also eine Landschaft in Szene gesetzt, allerdings
nicht dokumentarisch oder volkstümlich, sondern im Rahmen einer bewusst subjektiven
Sicht. Liechti schreibt dazu selber: «Es geht um die Verarbeitung unserer
Erlebnisse, unserer Erinnerungen - geprägt durch die eigentümliche Ausstrahlung
dieser Landschaft und dem Aussenseiter-Dasein in einem kulturellen Milieu, das
sich kaum mit unseren eigenen Interessen verbinden lässt.»
Liechtis Inszenierung ruft Assoziationen an die surrealistische Filmtradition
wach, wie sie etwa Luis Bunuel in seinem Erstling «Der andalusische Hund»
begründet hat. Dort wird die sinnhafte Logik einer Erzählung durch eine
Abfolge von Bildern ersetzt, die allein der Logik des Traums folgt. Liechti hat
sie insofern übernommen, als er in seinem Film mit Assoziationsketten und
Bildverknüpfungen arbeitet, die seine eigene Art der Wahrnehmung, aber auch
Empfindungen wie Euphorien und Depressionen versinnbildlichen sollen.
Liechtis gebrochenes Verhältnis zur appenzellischen Landschaft - er spürt
deren Magie und Sinnlichkeit, setzt ihr aber seine eigene Welt dagegen - kommt
auch in den Zwischentiteln der Akte zum Ausdruck. So heisst einer «Erstens:
Die Liebe zur Natur. Zweitens: Das Gegenteil». Ein Szenenbeschrieb, der
den ersten Akt unter dem Titel «Die Jagd, das Bild, der Bilderfluss»
bezeichnet, mag einen Einblick in Liechtis Technik und Bildinhalte geben, die
an drei Drehorten realisiert wurden (Gais, Wald, Trogen). Es heisst:
«Ein maskierter Bilderjäger (Fotograf, Kamera-Mann) pirscht mit der
Kamera über eine weite Grasfläche (s/w). Man hört Jagdsignale,
Schüsse, verzweifeltes Hühnergekreisch. Darauf völlige Stüle.
Im Gras liegt eine frisch geschossene Polaroid-Foto. Langsam entwickelt sich das
Bild eines rennenden Huhns (jetzt in Farbe). Parallel dazu wird langsam Musik
eingespielt: Der eigentliche Tonfilm hat begonnen. Es folgt eine längere
Sequenz von sehr kurzen Bildschnitten: Spiele, Bewegung im Freien, alle im gleichen
Rhythmus zur Musik des Modern Jazz Quartets. Schliesslich ein Floh-Spiel auf dem
Bügelbrett mit kunstvollen Floh-Arrangements. Die Szene ändert, als
der Darsteller F. (Felix Kälin) durch den Abschuss eines Pfeils auf dem magischen
Bogen eine neue Bilderreihe von freien Assoziationen auslöst. Schliesslich
besteigt F. ein altes Fahrrad und fährt mit unbekanntem Ziel davon.»
«Neuvertonung des Appenzellerlandes» CJ, St.Galler Tagblatt, 1985
Die Inszenierung der Appenzellischen Landschaft in zehn Akten» (so der Untertitel
von Liechtis Film) ist eine bewusst subjektive, keinesfalls volkstümliche
oder dokumentarische Sicht dieses Kantons. Der Film hat keine durchgehende Handlung,
sondern besteht aus zehn in sich abgeschlossenen Szenen. Was den Streifen thematisch
zusammenhält, ist der Schauplatz «Appenzellerland», aber auch
die musikalischen Elemente von Duchamp und Artaud. Alle Beteiligten an diesem
Film haben eine Gemeinsamkeit: Sie wohnen oder wohnten dort, sind jedoch keine
Appenzeller. Dazu Peter Liechti: «Es geht um die Verarbeitung unserer Erlebnisse,
unserer Erinnerungen - geprägt durch die eigentümliche Ausstrahlung
dieser Landschaft und dem Aussenseiter-Dasein in einem kulturellen Milieu, das
sich kaum mit unseren eigenen Interessen verbinden lässt.»
Interessant am Film «Sommerhügel» ist die Darstellung von Gegensätzen,
vom gebrochenen Verhältnis der Beteiligten zu dieser Gegend, das auch in
einem Zwischentitel seinen Ausdruck findet: «Erstens: Die Liebe zur Natur
- Zweitens: Das Gegenteil». «Keiner von uns ist je richtig «gelandet»
in diesen Hügeln», sagt der Regisseur, «obwohl es einige immer
wieder versuchen - fasziniert von der Natur, verführt von kitschigstädtischer
Sehnsucht nach dem «reinen» Landleben. Uns haben beide Richtungen
interessiert, in die das Pendel ausschlägt - und das Appenzellerland liefert
eine Fülle inspirierender Bilder und Töne dazu. So arbeiteten wir häufig
mit Assoziationsketten und Bild-Verknüpfungen, die unsere Art der Wahrnehmung,
unsere Euphorien und Depressionen versinnbildlichen sollen.