PETER LIECHTI (1951-2014)
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(2003, Documentary/Essay, - 35mm Dolby-SR, 16:9 - DigiBeta - DCP 24p/s, English subtitles - DVD, Français/Deutsch/English/, 90')
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Die Geschichte handelt von einem, der auszieht, das Rauchen loszuwerden. Nach x gescheiterten Versuchen hat er es aufgegeben, irgendwelchen «Rezepten» aufzusitzen und beschliesst, eine eigene Methode zu entwickeln. Diese soll zur Befreiung von seiner Sucht führen, indem sie ihn einerseits rein körperlich in permanentem Trab hält, andererseits auch mit den tieferliegenden Wurzeln seiner Süchte konfrontiert.

Was ihm dabei immer wieder in die Quere kommt, ist seine grundsätzliche Sympathie für Raucher und Raucherinnen. Er muss sich gar eine gewisse Verachtung für die fade, vernunftbetonte Gilde der Nichtraucher eingestehen und umgekehrt eine insgeheime Bewunderung für die todesverachtenden und überzeugten Vertreter der Masslosigkeit. Ihm selber ist diese Ueberzeugung aber abhanden gekommen, und er würde sich - wenigstens in diesem Punkt - nur zu gerne auf die Seite der Vernünftigen schlagen.

Falls Rauchen ein Ersatz ist, so bleibt ihm nicht erspart, das (wieder) zu finden, was er damit ersetzen wollte. Das heisst, er muss «zurück» gehen bis dahin, wo er aufgehört hat, das Rauchen zu geniessen und das Kompensieren angefangen hat. Dieser Weg führt aber nicht über psychologische Analysen, sondern folgt vielmehr gewissen Formen der Pilger- oder Wallfahrt - uralten Methoden der «Katharsis», der inneren Reinigung mit dem Ziel der «Erlösung».

Schliesslich beginnt er, seinen Entzug zu dokumentieren. Er macht sich auf zum ersten grossen Marsch. Durch das rituelle Abschreiten der Landschaft - und das strikte Rauchverbot, das er sich auferlegt während dieser Zeit - hofft er, von seinen alten Laste(r)n befreit zu werden. Nach einem ersten Scheitern lässt er sich nicht entmutigen; er ist bereit, den Weg so oft zu wiederholen, bis sein Ziel erreicht ist.
Die Strecke, die er sich vornimmt, führt konkret von seinem jetzigen Wohnort (Zürich) zurück zur Stadt, wo er aufgewachsen ist (St.Gallen); die Routen wechseln: Mal dem Bodensee entlang, mal über den Alpstein, mal «mitten durch»...
In Gedanken sind es vor allem Reise-Erinnerungen - Afrika und andere Exkursionen, die er in diesem Zeitraum unternommen hat - welche nochmals «durchwandert» werden.

Alle die zufälligen und gesuchten Begegnungen, Abenteuer, Gefühle, Bilder und Erinnerungen, die er auf seinen Raucher-Märschen erwandert und von seinen Reisen mitgebracht hat, bilden schliesslich den Fundus zu einer filmischen Himmel- und Höllefahrt quer durchs Vaterland - mit gelegentlichen Abstechern weit über die Grenzen hinaus. Zum leitenden Thema wird dabei immer mehr die Heim-Suchung - auch wörtlich genommen. Der Versuch, der eigenen Ortung in dieser fragmentierten Welt etwas näher zu kommen.

HANS IM GLUECK ist eine Abrechnung und eine Liebeserklärung. Ein Roadmovie für Fussgänger, ein Heimatfilm für Heimatlose. Eine Widmung an alle Raucher und anderen Abhängigen, an alle Pechvögel und trotzdem Anständig-Gebliebenen - und an den Hans im Glück...


Vorgeschichte, Motivation, aus dem Drehbuch
Die Idee zum vorliegenden Filmprojekt geht zurück auf diesen Entschluss, das Rauchen aufzugeben. Anfangs Sommer 1999 machte ich mich auf zu einem Fussmarsch von Zürich nach St.Gallen. Ich hatte diese «Methode» gewählt, um die ersten und schlimmsten Tage des Entzugs mittels pausenloser Beschäftigung und körperlicher Erschöpfung in einer Art Rauschzustand hinter mich zu bringen. Rauchen war während dieser Zeit strikte verboten; alle Energie sollte in die Bewältigung und Dokumentation dieser ca. 150 km langen Strecke gesteckt werden.

Wie fast immer auf meinen grösseren und kleineren Reisen steckte ich auch diesmal, gewissermassen als Reisebegleitung, eine kleine DV-Kamera ins Gepäck. Mein anderer «Gesprächspartner» war ein Reisetagebuch. So ausgerüstet wollte ich herausfinden, was sich unterwegs so alles erwandern liesse...

Am Abend des 23.Juni rauchte ich meine letzte Zigarette, am nächsten Morgen war der Start. Die damalige Stimmung des zurückgehenden Hochwassers am Bodensee bewog mich, die Route über weite Strecken dem Seeufer entlang zu wählen. Der Marsch verlief dann nicht immer plangemäss. Ab und zu bin ich ein Stück voraus- oder zurückgefahren, habe auch mal einen kleinen Ausflug gemacht, per Bahn, per Schiff oder Postauto; die Strecke aber habe ich eingehalten. Ich war ziemlich abgelaufen und verwirrt, als ich nach acht Tagen in St.Gallen angekommen bin; doch im Rucksack hatte ich 10 Stunden Video-Material und 20 Seiten Text - und in der ganzen Zeit hatte ich keine einzige Zigarette geraucht.
Dieser Erfolg hat ein paar Monate hingehalten, bis ich Ende 1999 rückfällig geworden bin. Mittlerweile bin ich wieder genauso weit wie zuvor, das heisst: kein Tag ohne 2 Schachteln Zigaretten.

Trotzdem könnte ich nicht sagen, dass die Reise sinnlos war.
Gehen heisst auch Denken und Erinnern; dabei steigert der körperliche Entzug nicht nur die Qual, sondern auch die Intensität der Wahrnehmung. Man geht dahin mit einer bis ins Schreckhafte gesteigerten Wachsamkeit: Kleinste Details bekommen plötzlich grelle Bedeutung, ganze Landstriche werden zu riesigen Projektionsflächen. Das Ausgesetztsein in einer solchen Situation erzeugt eine Verletzlichkeit, der nur mit radikaler Ehrlichkeit beizukommen ist - zuweilen kommt man dabei auch weit entfernt von der sogenannten Realität zu liegen...
Bei aller Härte empfand ich diesen Zustand aber als ausserordentlich anregend. Ich habe unglaublich viel gesehen und erlebt in diesen 8 Tagen, obwohl - oder gerade weil die Route so völlig unspektakulär war. Zeitweise war es ein Höllentrip mitten in der dumpfen Friedlichkeit des Schweizer Alltags, dann wieder reinste Euforie und Harmonie, völlig aufgelöst in den wechselnden Stimmungen der Landschaft.
Je länger ich gelaufen bin, desto unwichtiger wurde der eigentliche Anlass des ganzen Unternehmens. Rauchen oder Nichtrauchen - das Wort «Entzug» holt sehr viel weiter aus. Tatsächlich hat das Ziel bald einmal jede Bedeutung verloren; ich war nur noch unterwegs.

Natürlich hadere ich zur Zeit mit meiner Rückfälligkeit als Raucher. Der Kampf ist aber nicht aufgegeben; die Methode kann noch verbessert werden. Auch der Film hat ja erst angefangen; parallel zu diesem «Entzug» entwickelt sich auch dieses «Journal», und zwar zu einem viel weiter gefassten «Aufhör-Projekt».
Mit etwas aufzuhören ist ein wesentlich zäherer Prozess, als etwas Neues anzufangen. Etwas Gewohntes aufzugeben tut weh, genauso wie es schmerzt, eine Sucht loszuwerden. Der Entzug schwemmt alte Erinnerungen hoch, schürt Sentimentalität und Melancholie. Und manchmal neige ich dazu, die Schönheit dieser Gefühle höher zu schätzen als das Ankommen am Ziel.

Der Verlust des Eigenen im Zuge der sogenannten Globalisierung erzeugt diffuse Aengste gegenüber jeder Form von unkontrollierbaren «Einflüssen» (und gewisse Politiker wissen diese Aengste geschickt zu nutzen, indem sie das «Eigene» gegen das «Fremde» verteidigen...). Das zu benennen, was uns wirklich fehlt, wird immer schwieriger - und trotzdem immer spürbarer.
«Entzug» kann so vieles bedeuten: das Verschwinden geliebter Orte, das Vergessen (-werden), aber auch Verlust von Heimat und Verwurzelung, von alten Sicherheiten und Ueberzeugungen, von Sinn überhaupt...
Dieser Art von Sinnkrise bei- oder zumindest auf die Spur zu kommen, scheint mir über die persönliche Motivation hinaus ein sehr zeitgemässes Anliegen zu sein.

Ich verschaffe mir einfach die nötige Narrenfreiheit, ziehe los und versuche, dieser Sinnlosigkeit möglichst «naiv» und furchtlos entgegenzuwandern. Indem das Sinn-lose nicht nur ausgelebt, sondern fast rituell ad absurdum geführt wird, lässt sich hoffentlich auch der Todernst überwinden, der das Thema umweht wie ein müder Schleier. Der Weg zur körperlichen Ertüchtigung (vielleicht eine kleine Anspielung auf das alte «mens sana in corpore sano») gibt dabei nur vordergründig das Gefährt, welches mich auf den Seelentrip in die heimatlichen Gefilde katapultieren soll. Wie weit man sich überhaupt entziehen kann, wird sich erst zeigen.

Eine solche Reise kann bizzarre Formen annehmen und zu den merkwürdigsten Begegnungen führen; ich habe grosse Lust, diese Geschichten zu erzählen und herzuzeigen, was man alles finden kann, indem man etwas los wird. Wenn es gelingt, dass sich dabei Ernsthaftigkeit und (Selbst-)Ironie die Waage halten, so entsteht dabei nicht nur ein vergnüglicher, sondern durchaus auch spannender und möglicherweise gar nützlicher Film.
Peter Liechti


Off-Texte aus dem Reisetagebuch
«Wie weit ist es denn noch bis zum Bodensee?!
Beinahe bin ich eingeschlafen, laufenderweise eingenickt. Ich ertappe mich, wie ich einfach so vor mich hinschweizere. Dieses Vor-sich-hin- oder Einfach-so-daher-Schweizern ist ein gewissermassen rollender Zustand. Unterwegs das Museum der ausgestopften Filmprojekte. Dann gehts abwärts, abwärts im Opel Abwärts. Oder Opel Dibidäbi. Opel allein ist gar nix. Nicht wie Alfa oder Romeo. Oder Prypiat. Prypiat könnte auch ein Weinberg sein, oder ein Irrenhaus. Irgendein brisanter Zustand. Oder halt eine russische Stadt oder ein Dörfchen bei Tschernobyl...»

«Sonntagmorgen, ausgeschlafen. Ein wunderbarer Morgen!
Ich wünsch’ mir eine Fahrt im Postauto, nur der alte Mann am Steuer und ich, der einzige Passagier. Nur wir beide und der grosse Wagen. Immer wieder geh’ ich die leeren Sitzreihen hinauf und hinunter. Dann setz’ ich mich ganz nach vorn neben den alten Chauffeur. Einfach immer weiterfahren... Irgendwann hätten wir angehalten. Das Postauto in den Schatten gestellt, ein Bier getrunken, vielleicht ein Nickerchen gemacht. Dann wären wir weitergefahren durch den endlosen Thurgau. Geredet hätten wir kaum, die Gegend gibt nicht viel zu reden. Kurve um Kurve, immer tiefer wären wir in dieses Grün hineingefahren. Ganz sachte hätten wir abgehoben, kaum merklich, und irgendwann hätte der alte Mann den Motor ganz abgestellt...»

Am Hang gegenüber, gut sichtbar auf dem Tannenwipfel, eine immerfort krähende Krähe. Ich sage zu ihr: «Pass mal auf, was wir hier witzig finden.» Bösartig sag’ ich das, so richtig gemein. Dann ziel’ ich mit der Flinte auf den grossen schwarzen Vogel, und Peng! der Vogel fällt vom Baum. Sofort herrscht Ruhe da draussen am Hang. «So», sag’ ich zu ihr, «nun siehst du, was wir hier witzig finden.»

«Wann kommt denn endlich mein Hohrückensteak? Ich bin nicht eigentlich hungrig, doch ich kann nicht ewig weiterschreiben, um dieses stupide Warten zu ertragen. Und nun muss ich hören, dass irrtümlicherweise ein anderer Herr mein Steak bekommen hat - wahrscheinlich schon verzehrt! Wahrscheinlich der Herr dort am langen Tisch, der nun zufrieden eine Zigarette raucht, die Zigarette danach, nach meinem Steak. Von Rapperswil bis hierher, alles zu fuss - und dann frisst ein anderer mein Steak! Es tut ihr leid, sagt die Chefin, und ich sehe genau, dass es ihr nicht leid tut.»

«In seiner Autobiografie empfiehlt Bunuel, sich einmal alles aufzuschreiben, was man so mag im Leben und was nicht:
Ich mag zum Beispiel die Ernsthaften, und ich hasse zuviel Leichtigkeit, weil ich sie immer als verlogen empfinde.
Ich liebe Leute mit Humor, und ich hasse die Fröhlichkeit; sie langweilt mich zu Tode. Was ich hingegen sehr schätze ist eine gewisse Heiterkeit, vor allem bei älteren Leuten.
Ich mag die Hässlichkeit, solange sie erstens nicht protzig, zweitens nicht gemein, und drittens keine Frau ist.
Ich hasse den Flirt, weil ich es schlecht kann. Und ich kann diejenigen nicht leiden, die es besser können...»

«Es war schwer, sich von Appenzell zu trennen. So kam es, dass ich den Abmarsch bis in den späten Nachmittag hinausgetrödelt habe. Ausgerechnet am Abend des 1.August lauf ich von Appenzell nach St.Gallen hinunter. Langsam geht das Ländliche über ins Provinzielle, das Liebliche ins Niedliche. Schliesslich kommt man zur sogenannten Ganggeli-Brücke, die das Land direkt mit der Stadt verbindet. Eine äusserst filigrane Brücke, unheimlich hoch und unheimlich lang. Überall am Geländer sind Schilder angebracht; die Lebensmüden werden aufgerufen, doch unbedingt die rote Telefon-Nummer zu wählen, bevor sie springen. Tatsächlich liegt eine schwer zu fassende Schwermut über dieser Schlucht. Unwillkürlich möchte man allein sein, sobald man die Brücke betritt. Ein Ort der Einkehr - oder auch der Abkehr vom Leben.»

«Inzwischen ist mir die Methode selbst zur Falle geworden, und ich hab’ mir in einem schwachen Moment gesagt: was soll’s, ich mach’ sowieso einen weiteren Marsch.
Schwache Momente gehören nun mal zum Leben; es gibt ja nichts Schöneres, als einer Schwäche nachzugeben.»

«Ein einziges Mal bin ich böse geworden, gleich nach Andelfingen, unter der Eisenbahnbrücke. Eine volle Stunde hab’ ich da gewartet und gefroren, bis endlich dieser Scheiss-Zug gekommen ist, bis ich endlich die unspektakulärste aller Eisenbahn-Aufnahmen im Kasten hatte. Ich hatte einfach den Moment verpasst; nach 10 Minuten wär’ es höchste Zeit gewesen, die Uebung abzubrechen. Doch da war ich schon dermassen durchfroren, dass sich ein Hass und ein Trotz in mir festgesetzt hatten, die es niemals zugelassen hätten, von hier abzuziehen, ehe ich diese Drecksbahn abgeschossen hatte. Man kann sich vorstellen, wie es nach einer halben Stunde in mir ausgesehen hat, und nach einer Dreiviertelstunde - die ganzen inneren Verwüstungen, die dieser nicht kommen wollende Zug verursacht hat...»

«Heute wars viel, besonders viel...
Am Telefon hab’ ich gehört, wie sie geraucht hat. Plötzlich bin ich sehr müde geworden, und dann ist unser Gespräch versickert. So dünn wars am Ende, dass es irgendwo in der Leitung versickert ist und einfach ganz aufgehört hat.
Ich sollte ihr schreiben, doch ich bin zu müde jetzt - zudem weiss ich nicht was.»

«Beinahe herrscht Frieden hier oben im Plättli-Zoo - da reisst mir dieser Frauenfelder Emu ohne jede Vorwarnung das Mikrofon von der Kamera...
Eines ist sicher: Von allen Tieren sind die Vögel die aggressivsten. Vor den Grossen muss man ja richtig Angst haben; in ihren winzigen Köpfen scheinen nur Spatzenhirne Platz zu finden.»

«Im Hotel «Ring» werde ich per Telefon zum Frühstück gerufen; es ist halb neun, und eine Frauenstimme sagt: «In zehn Minuten wird abgeräumt...». «Ja», sag’ ich vollkommen verdattert, «ich komme sofort...» - ich fand es ja von anfang an etwas seltsam hier.
«Sie sind doch der Schnarcher von Zimmer 8 ?», empfängt man mich dann unten - wer sagt da schon gerne «ja»?
Auch die ganzen Spiegel machen mich nervös, das viele Glas rundum - ein schriller Ton, und der ganze Laden liegt in Scherben. Sie sammle Antiquitäten, sagt die Chefin, und es sei halt furchtbar schwer, sich wieder zu trennen von den Sachen. Mit den Gästen scheint sie diesbezüglich keine Probleme zu haben; je eher man sie los wird, umso besser...»

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